Die FC Bayern Frauen spielen ergebnistechnisch eine solide Hinrunde – und stehen dennoch vor allem in der Champions League mit dem Rücken zur Wand. Fußballerisch konnte das Team von Alexander Straus zudem nur selten überzeugen. Ein analytisches Zwischenfazit nach der Hinrunde – und ein Ausblick nach vorn.
Als einzige Mannschaft in dieser Saison noch ungeschlagen. Zuletzt am fünften Spieltag der Vorsaison (am 23.10.2022 in Wolfsburg) als Verlierer den Platz verlassen. Mit nur vier Gegentoren die beste Abwehr der Bundesliga: Bei den FC Bayern Frauen läuft es wie am Schnürchen – oder?
Glaubt man den reinen Zahlen, könnte das Fazit zum Jahresende 2023 durchaus positiv lauten. Doch es sind zwei unterschiedliche Gesichter, die die bisherige Saison prägen.
Eine wesentliche Kennzahl wird den Münchnerinnen nicht schmecken: In der Bundesliga überwintert man „nur“ auf dem zweiten Platz hinter dem großen Rivalen Wolfsburg und, das ist vermutlich noch schlimmer angesichts der Ambitionen in Europa, in der Champions League droht bei nur noch zwei ausstehenden Gruppenspielen das frühe Aus.
Was ist von den Münchnerinnen im neuen Jahr zu erwarten? Ein Blick zurück und in die Glaskugel.
Ein komplizierter Saisonstart oder Pflichterfüllung
Der Saisonstart in der Bundesliga verläuft für die Bayern Frauen schleppend. Ein Last-Minute Unentschieden in Freiburg, zwei Zu-Null-Siege gegen Köln und Essen und ein trostloses 0:0 gegen müde Frankfurterinnen in der Allianz Arena vor 19.000 Fans. Punktemäßig gerade so im Soll, spielerisch teilweise ideenlos. Was sind die Gründe dafür?
Rückblick. Als Alexander Straus am 19. Juli zum offiziellen Trainingsstart bittet, fehlen einige bekannte Gesichter. Tuva Hansen, Georgia Stanway, Pernille Hader, Jill Bayings, Magdalena Eriksson, Lina Magull, Sydney Lohmann, Lea Schüller, Klara Bühl und die später im Transfersommer verpflichtete Ana María Guzmán vertreten ihre Farben in Australien und Neuseeland bei der Fußball-Weltmeisterschaft. Verletzungsbedingt nicht nominiert sind Giulia Gwinn und Carolin Simon. Laura Gloning, Franziska Kett und Alara Şehitler sind zudem bei der U19-Europameisterschaft im Einsatz.
Man muss kein Prophet sein, um erahnen zu können, dass die Terminierung der Weltmeisterschaft und der Bundesliga-Start Mitte September keine Jubelstürme in München, Wolfsburg und Co. auslöst. Zumal auf den ersten Spieltag bereits die erste Länderspielpause folgt. Andere Ligen wie die Premier League starten erst dann in die neue Saison.
Alexander Straus muss früh Kompromisse eingehen
Die mit elf Neuzugängen oder Leihrückkehrerinnen runderneuerte Bayern-Mannschaft um Neu-Kapitänin Glódís Viggósdóttir hat nur wenige gemeinsame Trainingseinheiten vor dem ersten Bundesligaspiel in Freiburg. Eine neue Mannschaft aufbauen, Automatismen einstudieren ist daher nahezu unmöglich.
Alexander Straus startet im Breisgau folgerichtig lediglich mit zwei Neuzugängen in der Startformation (Naschenweng und Harder), während Belloumou, Eriksson und Kerr das Spiel 90 Minuten von der Bank aus verfolgen. Der späte aber nicht unverdiente Ausgleich der Freiburgerinnen ist der erste kleine Nackenschlag. Zu fehleranfällig und zu ideenlos spielt der FCB zum Saisonauftakt.
Gegen Köln und Essen wird zwar dreifach gepunktet, jedoch ist auch hier spielerisch viel Luft nach oben. Auffällig in den ersten Spielen und der bisherigen Hinrunde: Der FC Bayern schaltet nach Führung gerne einen oder zwei Gänge zurück. Eine gewisse Laissez-faire-Haltung, die gegen die meisten Gegner in der Bundesliga nicht bestraft wird.
Unnötige Spannung oder Offensivpotenzial
Ein weiteres Problem, das sich bisher durch die Saison 2023/2024 zieht, ist die schlechte Chancenverwertung. Mit lediglich 19 geschossenen Toren stellen die Bayern nur die viertbeste Offensive der Bundesliga (gemeinsam mit Bayer Leverkusen) und vergeben teilweise leichtfertig Chancen für mehr Tore. Aus dem Spiel heraus gelangen ihnen lediglich zwölf Tore – gerade im Vergleich mit der direkten Konkurrenz deutlich zu wenig.
Die Fähigkeit, Spiele frühzeitig zu entscheiden, ist den Bayern offensichtlich abhandengekommen. Als der VfL Wolfsburg Anfang November am Campus aus dem Nichts den Anschlusstreffer zum 2:1 markiert, ist die Verunsicherung in Reihen der Münchnerinnen spürbar. Das Spitzenspiel war bis dato kein Aufeinandertreffen auf Augenhöhe, die Gastgeberinnen führen durch Dallmann und Bühl verdient mit 2:0, vergeben einen Handelfmeter (Damjanovic) und müssen dennoch und plötzlich um den sicher geglaubten Sieg bangen.
Zehn Tage später, gleicher Ort, Champions League gegen Rom dann der Super-Gau: Die Bayern verspielen eine 2:0-Führung und eine gute Ausgangslage in der schwierigen Vorrundengruppe.
Verletzungen plagen den FCB oder Stanway spielt immer
Der FC Bayern hat in dieser Bundesliga-Saison bisher noch nie an zwei Spieltagen hintereinander mit derselben Startaufstellung begonnen. Das liegt natürlich zum einen daran, dass der Kader qualitativ und quantitativ gut besetzt ist und Straus die Spielerinnen bei Laune halten muss.
Zum anderen sind die Bayern aber durch Verletzungen geplagt. Neuzugang Harder, zu Saisonbeginn bereits ein Fixpunkt in der Offensive und entscheidend an Toren beteiligt, verletzt sich am dritten Spieltag am Innenband und feiert erst im Dezember ihr Comeback. Auch Sydney Lohmann, Lina Magull, Jovana Damjanovic und zuletzt Klara Bühl und Magdalena Eriksson fielen und fallen Wochen aus.
Gerade die Verletzung von Harder erweist sich als Problem, da die Dänin eine Kreativität in die Mannschaft bringt, die die Bayern ohne den Neuzugang aus London nicht auf den Platz bringen können. In Abwesenheit von Harder glänzt Georgia Stanway auf der Sechser-Position und fungiert mehr und mehr als Taktgeberin und präzise Vorlagengeberin.
Die Engländerin bildet mit Sarah Zadrazil ein eingespieltes Duo, das sich immer wieder gerne vorne einschaltet. So prominent und breit sich der FC Bayern im Sommer verstärkt hat: Georgia Stanway bestreitet fast jedes Pflichtspiel über 90 Minuten. Von (mentaler) Müdigkeit ist bei der Vize-Weltmeisterin bisher keine Spur.
Die Kapitänin geht von Bord oder eine neue starke Achse
Stanway, Zadrazil und Viggósdóttir als Kapitänin sind die neue Führungsachse der Bayern und lösen damit Lina Magull ab. Die Mittelfeldstrategin, seit 2018 in München, hat ein kompliziertes Jahr hinter sich. Nach einer enttäuschenden Weltmeisterschaft legt sie das FCB-Kapitänsamt nieder, um den „Fokus wieder stärker auf mich selbst (zu) richten“, wie sie t-online erklärt.
Mehrere kleinere Verletzungen zwingen sie aber immer öfters bei der Nationalmannschaft und in München in die Zuschauerrolle. In ihren 9 Pflichtspielen in Pokal, Bundesliga und Champions League bleibt Magull ohne direkte Torbeteiligung. Magulls Vertrag wäre im Sommer ohnehin ausgelaufen, nun soll sie laut kicker und Soccerdonna aber bereits im Wintertransferfenster zu Inter Mailand wechseln.
Mit Stanway und Viggósdóttir hat man unlängst vorläufig bis 2026 verlängert. Ein Zeichen an die zahlungskräftige Konkurrenz aus dem Ausland und vielleicht war es auch eines an Magull.
Nächster Umbruch droht oder rosige Zukunft
Und an Sydney Lohmann. Bei der Offensivspielerin weist Soccerdonna das Vertragsende 2024 aus. Lohmann und Magull haben gewisse Gemeinsamkeiten: Die 23-Jährige war genauso wie Magull Teil der historisch schlechten DFB-Elf, immer wieder wird auch sie von Verletzungen zurückgeworfen, was sich auch in der Saisonstatistik bemerkbar macht: Keine Vorlage, kein Tor in 8 Pflichtspielen.
Wenn man über auslaufende Verträge spricht, muss man unweigerlich auch einen Blick nach Leverkusen werfen. Hier spielen Karólína Lea Vilhjálmsdóttir (5 Saisontore, 3 Vorlagen) und Emilie Bragstad eine starke Saison.
Beide Spielerinnen sind vor der Saison nach Leverkusen ausgeliehen worden, eine Weiterbeschäftigung in München ab Sommer 2024 erscheint nach aktuellem Stand der Dinge nur logisch. In diesem Kontext ist gerade die Personalie Vilhjálmsdóttir interessant. Die Isländerin kann die Position von Lohmann bespielen und passt allein vom Profil her gut zu den Vorstellungen von Straus: Umtriebig zwischen den Linien, gedankenschnell, technisch hoch veranlagt.
Defensive Anfälligkeit außen oder Flügelstärke
Wie der FC Bayern im Sommer 2024 aussehen wird, kann aktuell nicht seriös beantwortet werden. Neben Magull und Lohmann laufen auch die Verträge von Ersatztorhüterin Erin Nayler und von Maximiliane Rall aus. Nayler wurde im vergangenen Sommer als Reaktion auf die schwere Verletzung von Cecilía Rán Rúnarsdóttir verpflichtet. Je nach Genesung der Isländerin werden sich die Wege von Nayler und dem FC Bayern nach Ende der Saison wohl wieder trennen.
Einen Wechsel wird auch Maximiliane Rall anstreben, deren Last-Minute Vertragsverlängerung vor ein paar Monaten mittlerweile komisch anmutet. Rall, letzte Saison verlässlicher und guter Ersatz für Gwinn und für einige sogar Kandidatin für den deutschen WM-Kader, erhielt erst mit Saisonende einen neuen Vertrag und spielt nun, Rotation hin oder her, keine Rolle mehr.
Gwinn und Hansen sind die ersten Optionen auf der rechten Seite. Wobei letztere die Position deutlich defensiver interpretiert. Apropos defensiv: Beim FC Bayern sollte man perspektivisch die Rolle von Gwinn überdenken. In der aktuellen Taktik von Straus spielt Gwinn eine sehr offensive Rechtsverteidigerin, die sich ständig bei Angriffen einschaltet.
Auf dem rechten Flügel sorgt Giulia Gwinn bei den Bayern für viel Gefahr. Zu Lasten der Defensive?
Dieses Überfallkommando auf der rechten Seite im Zusammenspiel mit Linda Dallmann hat schon für viele gefährliche Situationen gesorgt. Zum Leidwesen der Bayern-Fans allerdings auf beiden Seiten. Was in der Bundesliga gut geht, das Überrennen der Gegner und das Schaffen von Überzahlsituationen auf den Außenbahnen, geht diese Saison bis dato in der Champions League noch teilweise gehörig schief.
Sinnbildlich ist hier der 2:1-Anschlusstreffer des AS Rom im ersten Champions-League-Gruppenspiel zu nennen. Bei eigener 2:0-Führung spielt Gwinn so offensiv, sie war höher positioniert als Dallmann, dass beim Ballverlust die linke italienische Seite verwaist war. Auch gegen Ajax Amsterdam agieren Naschenweng und Gwinn derart offensiv, dass Viggósdóttir einige Male in ein Eins-gegen-Eins gehen muss.
Unruhig ins neue Jahr oder alle Ziele fest im Blick
Straus muss mit seinem Trainerteam eine Lösung für die defensive Außenbahn finden. Der mutige Ansatz funktioniert aktuell noch nicht einhundertprozentig gegen Gegner, die das schnelle Umschaltspiel beherrschen. An dieser Balance gilt es zu arbeiten. Am besten schon in der Wintervorbereitung.
Wenn es der FC Bayern schafft, seinen Kader gesund und bei Laune zu halten, wird in der Bundesliga kein Weg an den Münchnerinnen vorbeiführen. Trotz aktuell einem Punkt Vorsprung wirkt Wolfsburg bisher nicht souverän. Wie immer werden die direkten Duelle der Top-4-Teams den Ausschlag um die Meisterschaft geben und hier ließ Wolfsburg zuletzt regelmäßig Federn.
Und auch im DFB-Pokal könnte es für Wolfsburg zum ersten Mal seit langem nicht für den Titel reichen. Die Viertelfinal-Auslosung hat den Wölfinnen mit der TSG Hoffenheim ein hartes Auswärtsspiel beschert. Die Bayern müssen diese Runde erst noch erreichen, da die Partie gegen Kickers Offenbach wegen der Champions League noch nicht ausgetragen wurde.
Bei einem Erfolg in Offenbach steht der Viertelfinal-Gegner mit Zweitligist Jena bereits fest. Den Frauen ist der Einzug in das Halbfinale also allemal zuzutrauen. Und auch in der Champions League hat man das Weiterkommen noch in der eigenen Hand – auch wenn es angesichts der Ausgangslage schon zwei Siege sein müssten.
Binnen einer Woche und somit nur kurz nach dem Pokalspiel in Offenbach treten die Münchnerinnen in Rom und zuhause gegen Paris an. Es wird spannend zu sehen sein, welches der beiden Gesichter die Bayern dann in diesen wegweisenden Spielen zeigen.
Dieser Artikel wurde für Miasanrot verfasst.
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